Schattensonnes Reich
  Nichterfüllter Traum
 

Großer Herzenswunsch meiner Oma Erika

Ich weiß nicht mehr genau, wann es wirklich war, aber es war irgendwie in den ersten
Jahren nach der Jahrtausendwende. Da erfuhr ich, dass meine Oma noch einen älteren
Bruder hat bzw. hatte, denn meine Oma wusste nicht, ob er noch lebt oder schon tot
ist bzw. gar schon damals im Krieg gefallen ist, naja und dass sie eben davon träumt,
ihn vielleicht doch noch mal im Leben zu sehen. Imgrunde hätte ich es ja wissen müssen,
dass es diesen Bruder gab oder gibt, denn sie hatte im Wohnzimmer schon immer, also
auch schon, als ich klein war, dieses Familienbild stehen, worauf sie mit ihren Eltern
und ihrem Bruder abgebildet ist. Es war ein wunderschönes Schwarzweißbild, aber
wahrscheinlich, weil es schon immer da stand, hab ich es wohl irgendwann kaum noch
groß wahrgenommen. Zumindest hatte ich halt wohl lange Zeit nicht mehr nachgefragt,
wo denn ihr Bruder abgeblieben ist. Ich weiß noch, dass ich als Kind viel gefragt habe
zu diesem Bild und sie auch jedesmal dann viel erzählt hat aus ihrer eigenen Kindheit und
von ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer Oma, aber eben ihre Kindheitserlebnisse. So sang
sie mir dann auch immer pommersche Kinderlieder vor und machte so Spielchen mit mir.
Naja, und dann fragte ich wohl doch mal wieder nach und da erzählte sie mir halt von
ihrem Bruder, sie erzählte, als wäre es gestern gewesen, als sie ihn verloren hat. Sie
wusste alles, eben auch wann und woher die letzte Kriegspost kam, bevor ihre Familie
nix mehr von ihm hörte bzw. über seinen Verbleib und sogar diese Nummer, die die
Soldaten wohl alle hatten, um identifiziert zu werden im Todesfall wohl. Aber ihre Eltern
und sie sind ja dann auch geflüchtet und von da an verlief sich wohl irgendwie alles dann.

Meine Oma ist aber oft noch nach Pommern zu solchen Treffen gefahren, ich denke, dies
auch stets in der Hoffnung, dort vielleicht mal auf ihren Bruder zu treffen oder irgendwas
über ihn zu erfahren. So besuchte sie auch stets ihr Elternhaus, in dem wohl nun
Russen wohnten, die aber angeblich irgendwann wieder zurück wollten. Dies geschah 
aber leider wohl genausowenig, wie diese Leute ihr halt mal die Auskunft erteilen konnten,
meine Oma ihr Bruder hätte sich dort auch mal sehen lassen. Meiner Oma war es
geraume Zeit echt sehr wichtig, jährlich dorthin zu kommen, sie nahm auch immer Geschenke
und Geld für diese Russen und deren Kinder mit, sie gab scheinbar die Hoffnung nicht auf.

Jedenfalls machte ich mich dann mit den Daten, welche sie über ihn hatte auf die Suche im
Internet. Zuerst suchte ich nach Namen und Geburtstag, dann auch nach Namen ihrer Eltern
und so, selbst diese Nummer gab ich ein und das Lazarett. Ich trieb mich ewige Zeit in Foren
rum zwecks Ahnenforschung und auch auf pommerschen Seiten, teilweise konnte man selbst
Geburtsregister und Schulregister einsehen da von Stettin, wo meine Oma herstammt, aber
keine Spur führte zum Verbleib ihres Bruders Erich. Genauso gab ich auch Suchanträge
auf beim DRK und beim Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge, in der Hoffnung
wenigstens zu erfahren, ob er gefallen ist oder den Krieg überlebt hat, aber auch hier
kein Weiterkommen leider. Es war echt zum Verzweifeln.

Ich resignierte immer wieder, aber genauso fing ich auch immer mal wieder voller
Hoffnung an, weitere Suche zu betreiben. So stolperte ich sogar auch einmal über eine
Suchanfrage meiner Tante Bärbel. Diese suchte allerdings nicht Omas Bruder, sondern
irgenwen, irgendwelche Verwandte aus Pommern. Dazu gab sie halt die Namen
ihrer Mutter und deren Mutter an und das war´s. Mir war und ist es ein Rätsel, wer sie
so finden soll bzw. eben wie sie auch nur irgendwen. Den Namen Peglow gibt´s scheinbar
wie Sand am Meer und Erika und Else waren früher wohl auch Allerweltsnamen.
Die Geburtsdaten wären sicherlich nicht zuviel und umsonst gewesen, denk ich mir.
Auch verstand ich nicht, wieso der Name ihres Opas nicht auftauchte und auch der
Mädchenname ihrer Oma nicht. Das wär bestimmt interessant und sehr hilfreich gewesen.

Nun ja, ich selbst hatte ja dann Anfang 2008 auch das Haus zu verlassen, und so
leider dann auch geraume Zeit kein Internet mehr. In dieser Zeit kaufte ich mir öfters
Computerzeitschriften, um die Langeweile zu überbrücken und etwas zu lernen,
und in einer war mal ein Telefonbuch als CD. Da fiel mir doch auch glatt meine Suche
wieder ein. Ich suchte also nach dem Namen Peglow und das deutschlandweit. Zu
meiner Verwunderung gab es hier sogar 2 Erich´s auch, welch Freude. Drucker hatte ich
keinen genausowenig wie ein Telefon, und so schrieb ich fleißig die Nummern, Adressen
und Namen der Erich Peglow´s und auch weiterer Peglow´s ab. Diesen Zettel gab ich meiner
Mama mit der Bitte, doch mal abzutelefonieren und nachzufragen, ob Omas Bruder dabei
ist oder ob ihn jemand davon vielleicht kennt bzw. kannte, oder diesen Zettel wenigstens
der Oma Erika zu geben, damit sie selbst die Chance dazu hat dann, ihn vielleicht zu finden.

Irgendwann habe ich meine Mama dann noch mal danach gefragt. Wenn ich ehrlich bin,
war ihre Reaktion wohl Antwort genug, doch ihre Aussage war, ist nix, also es war halt
nix Brauchbares dabei wohl und damit erledigt wohl das Ganze. Damals musste ich es
so hinnehmen, ich bin eh immer nur der Stänkerfritze, der ihnen Schlechtes unterstellt.

Heute weiß ich aber erst recht, es ist nicht geschehen, meine Mama hat es wohl 2008/9 
genausowenig getan wie sie meiner Oma diesen Zettel wohl gab. Zumindest hat es meine
Oma wohl auch nicht getan, dort angerufen, und sie hätte es garantiert getan, so sehr wie sie
es sich doch von ganzem Herzen gewünscht hat, ihren Bruder Erich wiederzusehen. 

Woher ich das weiß? Ich hab mich noch mal auf die Suche gemacht und ich bin mir sicher,
ich habe ihn gefunden, und er stand auch auf dem Zettel, welchen ich meiner Mama gab,
soviel ist mir gewiss. Ich werde nie verstehen, warum es Leute gibt, die immer wieder
meinen, Gott über andere Leute und deren Leben spielen zu dürfen. So wie es jetzt
aussieht, hätten wir der Oma ihren Herzenswunsch erfüllen können und dem Erich vielleicht
sogar auch einen, wer weiß das schon. Mama, warum? Warum war die Oma Erika Dir das
nicht wert? Du hast Dich genauso in deren Leben gemischt wie Du mich um meine
Herzenswünsche für mich und mein Kind gebracht hast und dies immer weiter nur.

Oma, es tut mir so sehr leid, dass es mit Deinem Herzenswunsch im hiesigen Leben
nicht mehr geklappt hat. Die Chance war gegeben, das weiß ich nun, auch wenn ich
wohl keinen Beweis dafür habe recht. Es ist eine Vermutung, es ist ein Gefühl,
aber ich weiß, ich kann mich auf meine innere Stimme verlassen. Ich vertrau ihr leider
wohl viel zu wenig, hab mir aber vor Kurzem vorgenommen, dies zu ändern. 
Ich hatte das damals schon im Gefühl, dass es wohl der Erich in Schleswig-Holstein und
zwar in Norderstedt ist, und nun bin ich mir felsenfest sicher, er war es.

Scheiße ej, zu spät, nun habt ihr euch erst im Himmel wiedergetroffen wohl wie es scheint.
Er ist wohl mit 91 Jahren von dieser Welt gegangen, wenn meine Recherchen stimmen.
Auch, wenn ich den Zettel mit all den Daten zu Deinem Bruder Erich leider nicht mehr
habe, denn auch der ist leider im Haus geblieben, so bin ich mir sicher, Du hast mir den
14.07.1919 als Geburtstag genannt. Und so denke ich nun, er ist zwischen 14.07.2010
und selbem Datum 2011 scheinbar wohl auch von dieser Welt gegangen. Zumindest
verläuft sich da wieder seine Spur. Ich hab eine Geburtstagsgratulation zum 91. gefunden
in einem Gemeindebrief von 2010 der Johannes Kirchengemeinde Friedrichsgabe. Und Du
und Deine Eltern waren ja auch evangelischen Glaubens.

Friedrichsgabe war früher ein eigenständiger Ort und ist heute quasi sowas wie ein Ortsteil
von Norderstedt. Die Adresse der Kirchengemeinde passt auch zum Adresseintrag vom
Erich Peglow, den ich damals in meinem Telefonbuch fand und heute sogar im Netz finde.
Ich weiß nicht, ob er all die Jahre dort wohnte, aber ich glaube schon. Friedrichsgabe
muss früher winzig gewesen sein, jedoch sollen dort viele Flüchtlinge bereits im und
nach dem Krieg eingetrudelt sein, davon massig aus dem Osten, und so wurde der
Ort wohl immer größer, wenn ich das recht verstanden habe. Den Ort gibt´s seit
Januar 1970 nicht mehr aufgrund eines Zusammenschlusses mit anderen Orten zum Ort
Norderstedt, und es gibt wohl eigentlich auch keinen wirklichen Ortsteil Friedrichsgabe.

Nun ja aber eh alles egal, zu spät ist zu spät. Ich werde hier aber trotzdem mal die
Daten vom Erich noch verewigen, bevor sie gelöscht sind. Wer weiß, vielleicht interessiert
sich ja meine Tante immer noch für ihre Verwandschaft und findet vielleicht ihren Cousin.
Oder mein Vater bekommt plötzlich einen Familiensinn und sucht, was ich aber nicht glaube.

Vorname: Erich
Nachname: Peglow
Title:  
Straße: Ostdeutsche Straße
Hausnummer: 8
Postleitzahl: 22844
Stadt: Norderstedt
Ortsteil:  
Region: Landkreis Segeberg
Bundesland: Schleswig-Holstein
Land:
Deutschland
Telefon-Nummer: 040/5221368
 
Und wie mir scheint hat Dein Bruder Erich auch einen sehr sportlichen Sohn mit Namen
Horst. Dieser dürfte wohl momentan irgendwas zwischen 60 und 65 sein, zumindest
startet er unter M60 und beteiligt sich an kilometerlangen Läufen. 25 km, 10 km, Hilfe,
da bleibt mir ja schon beim Gedanken die Puste weg. Wow, Hut ab vor diesem Mann.
Und ich glaub das nicht, bei diesen Läufen starten auch noch über 80-jährige Leute.
Na dann hat der Horst wohl auch noch ca. 20 Laufjahre vor sich, diese wünsch ich ihm.

Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube schon, dass der Horst zum Erich gehört, denn
er startet für Norderstedt und vom Alter her kann es auch passen. Ich hatte das damals
noch im Haus schon mal rausgefunden, ich hab das nämlich grade echt im Kopf, dass der
Erich wohl mit Ende 20 etwa Vater geworden ist, 28/29 schwirrte mir damals im Kopf rum,
aber ich vertraute damals meinem Instinkt wohl nicht so recht leider. Vielleicht gibt´s auch 
noch mehr Kinder, wer weiß. Ich denke, Du wirst das nun schon alles selbst wissen auch
und auch noch viel, viel mehr. Ihr hattet euch ganz sicher alle eine Menge zu erzählen.

Oma, wenn mein Papa das hier lesen würde, der würde mir wohl gleich wieder mit der
Einweisung in die Klapper drohen, das macht der ja schon mein ganzes Leben lang. Gib mir
bitte ein Zeichen, sollte ich mit all dem hier recht haben, ich warte sehnsüchtig drauf.
Ich weiß, es gibt sowas wie ein Leben nach dem Tod, und auch etwas zwischen Himmel
und Erde, was sich nicht erklären lässt. Manchmal hab ich auch Sachen in meinem Kopf
und die passieren dann auch, erweisen sich später als wahr, obwohl ich sie als Hirngespinste
oder Ängste abtue erst, weil es halt immer schlimme Ahnungen sind, wie mir bisher schien.
Deswegen bin ich aber nicht verrückt. Ich glaub mich auch zu erinnern, ich hab die Zeit wohl
sogar gespürt, als Du im Sterben lagst, und ich hab´s mal wieder verdrängt, wollt´s nicht wahrhaben.

Und ich hätte hier so gern dieses Familienbild von Dir, Deinem Bruder und Deinen Eltern
verewigt, aber ich hab es nun mal leider nicht, so bleibt mir nur der Trost, dass ihr euch
wenigstens alle wieder habt. Ich werde wohl genausowenig eins bekommen, wie ich damals
eins von meinen anderen Großeltern bekommen hab. Mir wurde damals nur gesagt, jeder
bekommt einen Abzug. Naja, was sollt ich nicht schon alles bekommen, und doch ist es
traurigerweise oft bei leeren Worten geblieben. Wie oft hast Du gewusst, dass ich bekommen
habe und ich sag Dir auch heute noch, hab ich nicht und ich hab nie gelogen und lüge nicht.
Ich hoffe nur, irgendwer wird dieses Bild gebührend hegen und pflegen, so wie Du es
auch all die Jahre getan hast. Es hat den Krieg und eure Flucht überstanden, und es
wär echt schade, wenn es nun verloren geht. Es ist auch ein Stück Familiengeschichte
Oma, schließlich gab es nicht nur Familie Fahrland, sondern auch Deine Familie Peglow.



 

 
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